Film des Jahres: 2023
Seit 1951 vergibt die Jury der Evangelischen Filmarbeit monatlich das Prädikat Film des Monats an einen aktuellen Kinofilm. Traditionell wird zum Jahresende einer der ausgezeichneten Filme als Film des Jahres prämiert. Die Jury wählte aus allen Filmen des Monats im Jahr 2023 den Film "Past Lives - In einem anderen Leben" zum Film des Jahres.
Am Freitag, 8. Dezember 2023, hatte die Evangelische Filmjury als Teil der Filmkulturellen Arbeit im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Zusammenarbeit mit dem DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum und der Evangelischen Akademie Frankfurt zu einer Vorstellung ins Frankfurter Filmmuseum eingeladen. Mit Ehrung des Filmverleihs STUDIOCANAL, Laudatio von Sung-Hyung Cho, Grußwort von Regisseurin Celine Song und anschließendem Sektempfang. "Past Lives - In einem anderen Leben" wurde in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt.
von Sung-Hyung Cho, Filmemacherin und Professorin an Hochschule der Bildenden Künste Saar
Liebe Filmfreunde, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
mit einem Lächeln und voller Stolz stehe ich heute hier, um den besonderen Film "Past Lives - In einem anderen Leben" von Celine Song als "Film des Jahres" auszuzeichnen. Als jemand, der seine Wurzeln in Südkorea hat und seit über 33 Jahren in Deutschland lebt, ist diese Gelegenheit für mich ein echtes Highlight.
Wisst ihr, als ich früher gefragt wurde, woher ich komme, und ich antwortete: "Aus Südkorea", bekam ich oft ein reserviertes "Ach so..." als Antwort. Ich fragte mich, ob dieses 'Ach so...' eine Art Enttäuschung bedeutete. Als ich das einmal in einem Seminar ansprach, nickte eine Kommilitonin. Aber heute Abend fühle ich mich, als würde dieses "Ach so..." endlich in ein begeistertes "Aha!" umgewandelt. Wenn man aus einem Land kommt, das nicht ständig im Rampenlicht steht, wird man oft übersehen. Doch heute Abend bin ich wie in einem Film, in dem plötzlich das unscheinbare Nebendarstellerland Südkorea die Hauptrolle spielt! Das fühlt sich großartig an!
Jetzt mal ehrlich, kennt ihr das koreanische Konzept von In-Yun? "두유 노 인연?" – das ist kein neues K-Pop Lied, auch wenn es vielleicht so klingt. Sondern ein Zitat aus dem Film, bedeutet so viel wie: "Weißt Du, was In-Yun ist?"
In "Past Lives" erklärt Nora dies in einem packenden Dialog, als sie Arthur trifft. Nora sagt, dass Menschen, die zur gleichen Zeit am selben Ort existieren, in einem früheren Leben auf irgendeine Weise miteinander verbunden gewesen sein müssen. Selbst eine flüchtige Begegnung, wie fremde Menschen auf den Straßen aneinander vorbeigehen und dabei nur ihre Kleidungen sich berühren, kann eine Fügung und ein Schicksal sein. Es geht um In-Yun, um Schicksal, um Begegnung, die mehr ist als nur Zufall – wie wir hier heute Abend!
Ihr, ich, Celine Song und "Past Lives" – ein Zufall oder eine Fügung?
"Past Lives - In einem anderen Leben" erzählt die Geschichte von Nora und Hae-sung, die sich über drei Zeitpunkte erstreckt, die jeweils 12 Jahre auseinanderliegen. Ihre Geschichte könnte wie eine Achterbahnfahrt der Gefühle sein – und das im 12-Jahre-Takt. Erinnert ihr euch an eure erste Liebe mit 12? Stellt euch vor, ihr trefft sie mit 24 wieder, und dann noch einmal mit 36! Was für eine epochale Liebesgeschichte!
Als ich meinem deutschen Mann die Story erzählte, rief er aus: "Was für ein Schmalz!" Meine Antwort? "Genau das Gegenteil! Der Film ist so was von unaufgeregt, nüchtern und erwachsen – fast wie neue deutsche Sachlichkeit!" Und er sagte ganz trocken: "Also doch Schmalz, nur auf Koreanisch!" Wir haben beide gelacht, aber ich denke, das zeigt, wie universell die Themen des Films sind – Liebe, Schicksal, die Verbindung über Zeit und Raum hinweg.
"Past Lives" ist aber keine Zuckerwatte-Romantik, sondern echtes Leben, mit all seinen Ecken und Kanten. Statt uns mit zuckersüßer Romantik und übertriebenen Dramen zu überfluten, nimmt uns “Past Lives” mit auf eine sanfte, aufgeklärte und sinnreiche Reise durch das echte Leben. Dieser Film ist wie eine gute Freundin, die nicht nur klug und einfühlsam spricht, sondern auch genau weiß, wann sie einfach mal schweigen und uns zum Nachdenken bringen sollte. Mit seinen lebensnahen Charakteren und tiefgründigen Dialogen, fesselt der Film uns an unsere Sitze und öffnet unsere Augen für die kleinen, aber bedeutenden Momente des Lebens.
Ihr wisst ja, ich bin Dokumentarfilmerin und ich als Dokumentarfilmerin lege normalerweise großen Wert auf Zurückhaltung und Demut. Aber heute erlaube ich mir ein kleines bisschen Klugscheißerei. Klaus Wildenhahn hat einmal gesagt, es gibt synthetischen Film und dokumentarischen Film. Aber wenn ich mir das so überlege, würde ich sagen: Es gibt zwei Arten von Filmen: Die erste Sorte ist synthetisch wie Fast Food – verlockend, schnell konsumiert und genauso schnell vergessen, diese Blockbuster, die man sich reinzieht wie eine Tüte Chips vor dem Fernseher. Und dann gibt es die andere Sorte, die echten Gourmet-Filme. Diese entfalten ihren Geschmack langsam auf der Zunge, sind reichhaltig und nahrhaft für die Seele. Man genießt jeden Bissen und erinnert sich noch Jahre später an das exquisite Geschmackserlebnis. “Past Lives” gehört definitiv zur zweiten Kategorie – ein kulinarisches Meisterstück der Filmkunst, das man nicht so schnell vergisst.
Ein riesengroßes Dankeschön geht an den Verleih Studiocanal. Ihr habt mit “Past Lives – In einem anderen Leben” nicht nur die Kinowelt bereichert, sondern auch ein bisschen wie der Gewürzdealer in der Küche der Filmkunst gewirkt – ihr habt genau die richtige Prise Vielfalt hinzugefügt, die das Ganze so richtig schmackhaft macht! Und genau diese Vielfalt spiegelt sich in der Arbeit der außergewöhnlichen Filmemacherin wider. Celine Song hat mit ihrem ersten Spielfilm nicht nur ein wahres Kunstwerk geschaffen, sondern uns auch sanft daran erinnert, dass die Essenz wahrer Romantik in den leisen, bedeutsamen Momenten des Alltags verborgen liegt. In einem liebevollen Blick, einem unerwarteten Lächeln, in der Stille, die mehr sagt als tausend Worte. Und es sind genau diese subtilen, tiefgründigen Momente, die durch die außergewöhnlichen Leistungen unserer drei Hauptdarstellerinnen zum Leben erweckt werden. Ihre Fähigkeit, die feinsten Nuancen menschlicher Emotionen einzufangen und auf der Leinwand darzustellen, ist nichts weniger als meisterhaft.
Dieser Film ist eine Ode an die reife, durchdachte Liebe und ein herausragendes Filmjuwel des zeitgenössischen Kinos, das in diesen turbulenten Zeiten der Kriege und globaler Krisen Ruhe und Tiefgründigkeit ausstrahlt. Und wenn wir beginnen zu verstehen, dass unsere Begegnungen vielleicht aus In-Yun entspringen, aus tiefen Verbindungen, die in vergangenen Leben gewoben wurden, dann öffnen wir vielleicht unsere Herzen ein wenig weiter und lernen, mit mehr Gnade und Verständnis füreinander zu leben.
Also, meine Damen und Herren, hebt mit mir das Glas auf "Past Lives – In einem anderen Leben”, auf einen Film, der uns nicht nur unterhält, sondern uns auch daran erinnert, wie wertvoll Menschlichkeit und Liebe sind – besonders in diesen herausfordernden Zeiten. Ich wünsche uns eine bereichernde und inspirierende Filmvorführung und gute Projektion!
Herzlichen Dank!