Film des Monats: Dezember 2019
Wenn die zwanzigjährige Guida spät abends noch hinaus will, zu einem Rendezvous, wird sie von ihrer Schwester Euridice gedeckt. Umgekehrt unterstützt Guida die Pläne der Jüngeren: Euridice träumt von einer Karriere als Pianistin. Das liebevolle Bündnis der Schwestern Gusmão ist viel wert im Rio de Janeiro der fünfziger Jahre. Die konservativen, mittelständischen Eltern – der Vater ist Bäcker – behüten ihre Töchter in der Hoffnung auf sozialen Aufstieg qua Ehe. Für die Gusmãos kommt es einer Katastrophe gleich, als Guida mit einem Seemann durchbrennt – und schwanger, als Verlassene zurückkehrt. Um die Familienehre zu retten, verstößt der Vater Guida und versucht, jeden Kontakt zu der inzwischen verheirateten Euridice zu unterbinden. Im Glauben, einander verloren zu haben, gehen die beiden sehr unterschiedliche Lebenswege.
„Ein tropisches Melodrama“ kündigt der Originaltitel des preisgekrönten Films von Karim Aïnouz („Zentralflughafen THF“) an. Tatsächlich meint man, in jedem der grobkörnigen, farbglühenden Bilder die schwüle Hitze Rios zu spüren. Der Begriff „Melodrama“ ist als Rückgriff auf ein klassisches Erbe zu verstehen: Es ist das Genre, das schon immer den Frauen gehörte, in dem weibliche Konflikte verhandelt werden konnten. „Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ spannt ein ganzes Panorama solcher Themen auf. Die kompromissfähige Euridice steckt in den Zwängen einer bürgerlichen Existenz, muss als Hausfrau und Mutter ihre Träume von beruflicher Erfüllung begraben. Guida dagegen schlägt sich als Alleinerziehende am unteren Rand der sozialen Skala durch – und begegnet dabei ganz anderen, sogar queeren Lebensentwürfen. In seiner visuellen Sinnlichkeit und seiner unverrückbaren Empathie für die Hauptfiguren – selbst dann, wenn sie problematische Entscheidungen treffen – weist der Film über sein historisches Setting hinaus ins Zeitgenössische: Er ist ein leidenschaftliches Plädoyer für das Selbstbestimmungsrecht der Frau in allen Belangen – Reproduktion, Sexualität, Arbeit, Beziehung.
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