Film des Monats: Juni 2017
Mit drei Jahren hört Owen plötzlich auf zu sprechen. Für die Eltern ist es, als sei ihr Kind „entführt“ worden. Die Diagnose: eine schwerwiegende Entwicklungsstörung – Autismus. Die Familie Suskind, die glücklicherweise gut situiert ist, lässt sich beraten, sucht Therapiemöglichkeiten für ihren zweitgeborenen Sohn. Doch Owen schweigt, niemand scheint zu ihm durchzudringen. Bis er eines Tages ein paar seltsame Silben von sich gibt: einen Satzfetzen aus einem Zeichentrickfilm. Die gefühlvollen Märchen und Musicals der Firma Disney werden für die Familie zum Mittel der Verständigung; Owen helfen sie dabei, sich über seine Bedürfnisse klar zu werden und eine als chaotisch empfundene Umwelt gedanklich zu ordnen. Er lernt sprechen, lesen, schreiben, zeichnet Bildergeschichten, die das Disney-Universum erweitern, und findet Freunde. Mit Anfang 20 fühlt er sich sicher genug, in ein betreutes Wohnprojekt zu ziehen und einen Job anzunehmen – in einem Kino.
Autismus mag nicht „heilbar“ sein. Aber es gibt Unterschiede in der Lebensqualität für die Betroffenen und ihre Angehörigen. „Life, Animated“ von Roger Ross Williams erzählt die Geschichte der amerikanischen Familie Suskind in einem lockeren, aber pointierten Mix aus Interviews, alten Familienvideos und animierten Szenen, die Owens eigene Comics nachempfinden und umranken. Das ergibt am Ende keine Fallstudie, sondern weist weit über die besondere Situation der Suskinds hinaus. Hinter der scheinbar naiven, manischen Filmleidenschaft des Autisten verbirgt sich eine Alltagspraxis: Es zeigt sich an Owens Beispiel, wie Zuschauer oder Leser Kultur selbst in der Form der „Unterhaltungsware“ dazu nutzen, das eigene Leben zu deuten, wie sie die Fiktionen von Kino, Comic, Literatur mit ihrer persönlichen Erfahrung vermitteln. Die Inszenierung des Films nimmt in ihrem gefühlvollen, zugewandten und ermutigenden Gestus dieses Thema auf: als wolle sie uns fragen, ob wir bereit sind, uns rühren zu lassen.
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