Film des Monats: Januar 2009
François springt nicht deklamierend auf den Tisch, um seinen Schülern die Schönheit der französischen Sprache beizubringen. Mit erlesenen Versen käme er auch nicht weit: Die neunte Klasse, die er an einer sogenannten Problemschule im Pariser Osten unterrichtet, ist ein ethnisch und sozial reichlich gemischter Haufen; Hoch- und weniger Begabte, Schüler jeder Couleur teilen hier die Bank. Wenn es gut läuft, gelingt es François, den 14- oder 15-Jährigen ein knappes Selbstporträt abzuringen. Wenn es schlecht läuft, schicken sie seine Konjunktivkonstruktionen ins Nirvana: „Niemand redet so!“ Oder sie machen sich öffentlich Gedanken über seine sexuelle Orientierung: „Es heißt, Sie stehen auf Männer.“ François korrigiert: Er sei nicht schwul. Aber mehr erfahren wir nicht über ihn als Privatperson.
Denn „Die Klasse“ ist ein Film, der sich bewusst beschränkt. Nach einem Roman des ehemaligen Lehrers François Bégaudeau (der auch im Film den Lehrer spielt) hat Regisseur Laurent Cantet eine lose Szenenfolge arrangiert, die ausschließlich in der Schule spielt – und den Zuschauer mitten hineinnimmt in das Geplänkel, die Diskussionen und Konflikte des jugendlichen Alltags. Mit Schülern einer Pariser Schule haben Cantet und Bégaudeau die Figuren in Workshops erarbeitet und dabei eine atemberaubende dokumentarische Unmittelbarkeit erzielt. Wie im Vorbeigehen stellt der Film Fragen, die auch das deutsche Publikum beschäftigen: Was kann unser westlicher Bildungskanon in einer Welt kultureller Diversität noch bedeuten? Wie hängen Sprache und Weltbild zusammen? Und was heißt es für eine wohlhabende Industrienation, wenn ein Viertel der fünfzehnjährigen Schüler gerade mal die Grundrechenarten beherrscht? „Die Klasse“ entfaltet subtile Spannung, aber auch eine schöne Offenheit. Unterschiedliche Wertsysteme dürfen hier koexistieren, sich aneinander reiben, miteinander wachsen. Mit Hilfe eines Lehrers, der auf Augenhöhe mit seinen Schülern darum kämpft, dass sie ihre Chance nicht verpassen.
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