Film des Monats: April 1998

Nénette & Boni
Regie: Claire Denis
Drehbuch: Jean-Pol Fargeau, Claire Denis
Frankreich 1996

Boni verdient sein Geld als Pizza-Bäcker und lebt mit Freunden in der Wohnung seiner verstorbenen Mutter irgendwo in Marseille. Seit ihrem Tod will er mit seiner Herkunftsfamilie nichts mehr zu tun haben. Seine sexuellen Tagträume kreisen um die Verkäuferin aus der Bäckerei nebenan, bei einem Treffen mit ihr im Café verschlägt es ihm jedoch die Sprache. Als seine jüngere, aus dem Internat entlaufene Schwester Nénette sich bei ihm einnisten möchte, weist er sie zunächst schroff ab. Sie ist schwanger, möchte aber das Kind nicht haben. Ohnmächtig läßt sie eine Reihe ritualisierter Beratungen und demütigender Untersuchungen bis zur Geburt über sich ergehen. Währenddessen entwickelt sich bei Boni eine fast manische Fürsorge für das Kind.

Wie in ihren vorangegangenen Filmen erzählt Claire Denis auch in Nénette & Boni von veränderten Beziehungs- und Kommunikationsformen Heranwachsender, von deren Schwierigkeiten und Gefährdungen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Der Film nimmt die Erfahrung eines Verlusts an überkommenen Orientierungsmustern und sinnstiftenden Zusammenhängen durch einen skizzenhaft-fragmentarischen Erzählstil auf, der das Erzählte außerordentlich verdichtet, eine eigene Poesie und einen eigenen Rhythmus erzeugt. Die Unübersichtlichkeit der Verhältnisse zeigt sich vor allem in den Kameraperspektiven auf die Körper der Protagonisten: in extremen Nahaufnahmen äußert sich eine Unmittelbarkeit der Wahrnehmung, die den Zuschauer immer wieder nach Orientierung suchen läßt.

Formal eigenwillig erzählt der Film die Geschichte von Beziehungen vor dem Hintergrund auseinanderfallender Familien- und Arbeitsverhältnisse. Nénette & Boni imaginiert das Lebensgefühl einer ortlosen Generation. Nicht minder erinnert uns der Film aber auch an die Wirkungskraft familienbezogener Leitbilder, selbst wenn diese für die Beteiligten ihre Gültigkeit scheinbar längst verloren haben.

Als Download (PDF):
Film-Credits
Frankreich 1996
Produzent:
Dacia Films/La Sept Cinéma
Regie:
Claire Denis
Drehbuch:
Jean-Pol Fargeau, Claire Denis
Kamera:
Agnès Godard
Schnitt:
Yann Dedet
Musik:
Tindersticks
Darsteller:
DarstellerInnen: Grégoire Colin, Alice Houri, Valéria Bruni-Tedeschi, Vincent Gallo u.a.
Format:
35mm, Farbe, 103 Min.
Verleih:
Peripher Filmverleih - fsk Kino & Peripher Filmverleih GmbH
Segitzdamm 2, Berlin Tel.:+49 030 614 24 64, Fax: +49 030 615 91 85, peripher@fsk-kino.de, http://peripherfilm.de/
Preise:
Goldener Leopard Locarno 1996
FSK:
ab 16