Film des Monats: Februar 2005
Mahmut lebt zurückgezogen in einer geräumigen Wohnung in Istanbul. Als Werbefotograf hat er den künstlerischen Anspruch früherer Tage aufgegeben, um materiell abgesichert und ungestört leben zu können. Als seine geschiedene Frau mit ihrem jetzigen Mann nach Kanada auswandern will, wird für einen Augenblick der emotionale Verlust spürbar, den er erlitten hat. Doch allgemein ist sein Verhältnis zu den anderen oder zur Außenwelt distanziert und gleichgültig. Dann taucht eines Tages Yusuf auf, ein junger Verwandter aus seinem Heimatort. Er möchte vorübergehend bei ihm wohnen, um sich eine Arbeit im Hafen zu suchen. Seine geordnete Welt und sein durchgeplanter Alltag werden durch Yusufs Anwesenheit empfindlich gestört. Da dessen Jobsuche sich als zunehmend aussichtslos erweist und der Aufenthalt dadurch unbegrenzt verlängert zu werden scheint, kommt es zwischen den beiden Männern zum Streit; Vorwürfe und Verdächtigungen dokumentieren ihre gegenseitige Entfremdung. Schließlich verlässt Yusuf die Wohnung.
Ceylans Film ist eine Momentaufnahme einer Türkei im Umbruch zwischen großstädtischer Moderne und ländlicher Tradition. Das winterliche Istanbul wird zum Sinnbild einer sozialen Kälte, die Yusufs Erwartungen auf Arbeit und Liebe enttäuscht und Mahmut sozial vereinzelt. Die traditionellen Werte einer ländlichen Gemeinschaft wie Gastfreundschaft und Familiensolidarität finden in der Lebenswelt der Großstadt keinen Platz mehr. Mit dem Gewinn an individueller Freiheit wächst auch die Distanz zwischen den Personen. Tragisch und komisch wirken die Versuche Yusufs, in die individuell eingerichtete Welt seines Verwandten einzudringen. Die Räume zwischen den Einzelnen und ihrer Welt werden neu vermessen. Seinen bedeutenden Vorbildern Angelopoulos und Tarkowskij ebenbürtig, entwirft Ceylan ein modernes Gegenbild zu den Klischees über das Leben in der Türkei und liefert damit einen brisanten und aktuellen Beitrag zur Diskussion um den EU-Beitritt des Landes.
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