Film des Monats: Oktober 2013
Eine Stadt in Afghanistan. Mit geöffneten Augen, aber unfähig zu sprechen und sich zu bewegen, liegt ein Mann in einem Haus. Seine junge Frau pflegt ihn. Sie ist verzweifelt, um sie herum tobt der Krieg, bei dem man kaum mehr versteht, wer gegen wen kämpft. Sie spricht mit ihrem Mann. Als die Kämpfe im Viertel eskalieren, bringt sie ihre Kinder in Sicherheit, in ein Bordell, in dem die Tante arbeitet. Sie kehrt zu ihrem Mann zurück, kümmert sich um ihn und spricht weiter. Mit einem jungen stotternden Krieger, der sie im Haus entdeckt, beginnt sie eine erotische Beziehung – und spricht weiter mit ihrem Mann.
Der leblose Körper wird zu einem „seng-e-sabur“, einem Stein der Geduld, dem die Afghanen ihr Leid anvertrauen. „In einer Gesellschaft wie dieser kann die Frau nur sprechen, wenn Ihr Mann stumm ist“, sagt die Schauspielerin Golshifteh Farahani, die mit ihrer beeindruckenden Leistung den Film trägt. Bezeichnenderweise wird ein Stotterer der Liebhaber der Protagonistin. Mit ihm erkundet sie eine neugierige, selbstbestimmte Erotik. „Es ist ein Film über das Sprechen, aber über das Sprechen als Handlung“ sagt Regisseur Atiq Rahimi. Die gleichsam theaterhafte Szenerie eröffnet den Raum für Spekulationen: was würde geschehen, wenn Frauen gehört würden, wenn Männer in Afghanistan auf Augenhöhe und offen miteinander sprechen könnten? Wie sehr die Fragen nach dem eigenen Körper, der Liebe und der Beziehung politische Fragen sind wird in „Stein der Geduld“ greifbar. Die selbstbewusste Tante bringt es auf den Punkt: „Männer, die nicht lieben können, ziehen in den Krieg“.
Rahimi hat mit „Stein der Geduld“ seinen eigenen, vielfach ausgezeichneten Roman verfilmt. Ihm gelingt eine eindrückliche, formal souveräne Studie über die Situation der Frauen in einem zerrissenen Land. Der Film ist ein beeindruckendes Kammerspiel, subtil visualisiert, eine überzeugende, dramatische Parabel über die politische Bedeutsamkeit einer individuellen Emanzipation.
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