Film des Monats: Juni 2009

Simon ist Waise, seine Eltern, der muslimische Geigenbauer Sami und die kanadische Geigerin Rachel, nach einem tödlichen Unfall nur noch eine Kindheitserinnerung. Tom, sein Onkel hat ihn großgezogen. Für seinen jüngst verstorbenen Großvater war Simons Vater ein Mörder, der die geliebte und begabte Tochter getötet hat. Als Simons Französischlehrerin Sabine für eine Übersetzungsübung von einem Terroristen erzählt, der seine nichtsahnende schwangere Verlobte mit einer Bombe nach Tel Aviv reisen lässt, wird seine Phantasie geweckt: Sein Vater ist dieser Terrorist, die Mutter mit ihm schwanger. Diese unglaubliche Geschichte verbreitet er in seiner Schule in Toronto und in Internet-Chatrooms. Simons Rollenspiel verselbständigt sich zu einem Netz aus Lügen und Wahrheit, in dem er sich selbst zu verlieren droht. Zugleich wird er mit den Fragen nach Schuld und Vergebung, mit den Vorurteilen gegenüber anderen Religionen und mit der Intoleranz gegenüber Fremden konfrontiert.

Die Frage nach der Identität des Einzelnen ist ein Spiel mit vielen Unbekannten. Egoyans Film handelt davon, wie wir als Bewohner eines symbolischen Universums uns in Geschichten selbst auf die Spur zu kommen versuchen – in der Literatur, im Theater, im Film,in der eigenen Erinnerung und Phantasie. Er entwirft ein Panorama aus Bruchstücken, Kurzgeschichten mit offenem Ausgang und grandiosen Bildsequenzen, die sich dem Zwang zur Eindeutigkeit von Identität verweigern. In der global vernetzten Welt mag die Ausbildung der eigenen Individualität komplizierter geworden sein, aber sie kann zugleich mehr Offenheit und Freiheit bedeuten. Die Vielfalt der Informationen und ihrer technischen Verbreitung lässt die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge für die eigene Selbstvergewisserung umso dringlicher werden. Jenseits ideologischer Annahmen und selbst entworfener Identitätsbilder kommt Simon langsam dem eigenen Geheimnis auf die Spur.