Film des Monats: August 2023
In der Schule in Seoul waren sie unzertrennlich, vielleicht sogar verliebt: Young Na, die über einer nicht ganz so brillanten Zensur in Tränen ausbrechen konnte, und Hae Sung, der sie immer trösten musste. Als Young Na 12 ist und ihre Familie nach Toronto auswandert, verlieren sich die beiden aus den Augen. Zwölf Jahre später findet Young Na den Freund im Internet wieder. Aber sie haben sehr unterschiedliche Wege gewählt. Young Na, jetzt Nora, studiert in New York Dramaturgie. Hae Sung hat den Wehrdienst geleistet, besucht die Ingenieursschule und wohnt als Single bei seinen Eltern – sehr koreanisch. Nora sieht keine Chance in einer Fernbeziehung und möchte sich auf ihr New Yorker Leben konzentrieren. Doch als sie Mitte Dreißig ist, als Bühnenautorin etabliert und mit einem jüdischen Schriftstellerkollegen verheiratet, kündigt sich Besuch an. Hae Sung sagt, er habe in New York zu tun. Aber es ist klar, dass er Nora treffen will.
Selbst als Erwachsene, die eine Karriere auf die englische Sprache gegründet hat und praktisch in der New Yorker Autorenszene aufgegangen ist, träumt Nora koreanisch. Die Autorin und Regisseurin Celine Song hat in ihrem Spielfilmdebüt ihre eigene Auswanderergeschichte verarbeitet. Es ist eine erfolgreiche, die einer gelungenen Integration. Und doch stellen sich schmerzliche Fragen. Was ist zurückgeblieben in der Heimat? Wäre ein Leben mit dem Kindheitsfreund möglich gewesen? Könnte Nora auf ihren Erfolg, ihren Beruf verzichten? Wird ihr Ehemann die Momente von „Fremdheit“ in der eigenen Beziehung akzeptieren? „Past Lives“ handelt von einer Welt, in der, jenseits von Flucht und Vertreibung, transnationale Lebensentwürfe selbstverständlich geworden sind – von den Menschen aber immer wieder individuell ausgehandelt werden müssen. Song erzählt in langen, luftig komponierten Einstellungen, die den Figuren und dem Zuschauer Raum zur Reflexion geben: Man kann in „Echtzeit“ beobachten, wie sich auf den Gesichtern der Schauspieler Emotionen und Erkenntnisse entwickeln. So gelingt dem Film eine wundervolle Fusion: Der „amerikanische“ Drang zur Selbstentfaltung wird von einem „konfuzianischen“ Verantwortungsgefühl gebremst. Und die Lässigkeit des amerikanischen Independentkinos verschwägert sich mit den großen Gefühlen des koreanischen Liebesdramas.
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