Film des Monats: Juni 2006

Ein Lehmhüttendorf irgendwo in Afrika: Vier Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren fliehen am Vorabend ihrer Beschneidung auf den Hof von Collé Ardo, die sich vor Jahren der Beschneidung ihrer Tochter widersetzt hat. Collé, die unter dem Trauma ihrer eigenen Beschneidung leidet, gewährt ihnen Moolaadé, ein Schutzrecht, vergleichbar dem Asyl. Durch ein Band, das sie vor den Hofeingang zieht, werden die dahinterliegenden Hütten zum sicheren Ort. Alle, die den Mädchen übel wollen, müssen draußen bleiben, andernfalls droht ihnen nach der Überlieferung der Tod. Mit der Beschneidung verwoben ist auch die Frage der Heiratsfähigkeit der Mädchen. Der Konflikt eskaliert und erschüttert das gesamte soziale Gefüge des Dorfes.

Ousmane Sembène, 83 Jahre, Pionier des schwarzafrikanischen Kinos, greift in seinem neuesten Film die alte, lebenserhaltende Tradition des Moolaadé auf und prangert mit ihrer Hilfe die andere, lebensbedrohliche Tradition der Beschneidung an. Die damit gestellte Machtfrage findet, auch quer zu den Geschlechtern, ihre filmische Umsetzung in der Aufteilung und energetischen Aufladung der Räume: Zwischen Höfen, Baobabbaum, Moschee, Termitenhügel und Wald vollzieht sich ein Machtspiel, in dem alle Männer und Frauen des Dorfes Position beziehen müssen. Ungewohnt für nichtafrikanische Sehgewohnheiten bedient sich Sembène einer epischen Erzählweise, welche Handlungen aus Verhandlungen entstehen lässt; die Zuschauer werden dadurch von Anfang an in die Entwicklung des Konflikts einbezogen. Auflehnung und Widerstand, Repression und Bestrafung, Niederlage und Triumph finden in der expressiven Körpersprache der Darsteller emotionalen Ausdruck. Der Film ist eine Hommage an den Mut, Veränderungswillen und Witz afrikanischer Frauen, deren Solidarisierung eine Wende in dem von patriarchaler Herrschaft gezeichneten Dorf herbeiführt.