Film des Monats: September 2016
Der Tunesier Hedi ist ein unauffälliger junger Mann. Still und schüchtern, in Krawatte und Businessanzug, fügt er sich meist nahtlos in seine Umgebung ein – zum Beispiel die Foyers der Mittelklasse-Hotels, in denen er auf seinen Reisen als ferngesteuerter Salesmanager von Peugeot logiert. Auch zuhause wird Hedi herumgeschoben wie ein Möbel. Seine energische Mutter weist ihm noch immer Taschengeld zu und ist gerade dabei, eine Ehe für ihn zu arrangieren. Dass Hedi ein Ungenügen an seiner recht privilegierten, bürgerlichen Normalität empfindet, dass vielleicht ein „westlicher“ Bohemien in ihm steckt, zeigt sich in den wilden Comics, die er in seiner Freizeit zeichnet. Und als er in einem Strandhotel die vitale Animateurin Rim kennenlernt, flackert etwas Rebellisches in ihm auf. Rim zieht es nach Frankreich, und es stellt sich die Frage: Liebt Hedi sie genug, um den Bruch mit der Familie, den Verlust des Jobs und schließlich auch seiner kulturellen Wurzeln zu riskieren?
Die vor allem von gutausgebildeten, aber chancenlosen jungen Leuten getragene „Jasminrevolution“ Tunesiens von 2010/11 ist die unsichtbare Folie, auf der Mohamed Ben Attias Spielfilmdebüt „Hedis Hochzeit“ seine Geschichte entfaltet. Der Titelheld kann sich noch an die Aufbruchsstimmung dieser Jahre erinnern. Aber sein Alltag ist längst wieder von alten Zwängen geprägt: der Monotonie einer modernen Angestelltenexistenz einerseits – und einem traditionalistischen Familienmodell andererseits, das nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern emotionale Erfüllung verweigert. Spannend ist an dem Film paradoxerweise gerade die ruhige, überlegte Haltung, mit der er diese komplexe Konstellation reflektiert. Die Hysterie, mit der bei uns die arabisch-muslimische Vorstellung von Maskulinität diskutiert wird, zerschellt hier an Bildern einer trunkenen Nacht am Strand oder einer entspannten Bettszene. Dieser Film ist keine Waffe im Kulturkampf – er ist ein Vorschlag zur Abrüstung.
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