Film des Monats: August 1996
Wien im März 1938: Triumphierend ziehen die Nationalsozialisten durch die Straßen. Hier setzen die Erinnerungen der sieben Frauen und fünf Männer ein, die sich in Egon Humers Dokumentarfilm reflektieren. Als Kinder und Jugendliche jüdischer Herkunft, einige sind bereits erwachsen, erleben sie den "Anschluß" Österreichs durch die Nationalsozialisten, der ihre Diskriminierung, öffentliche Demütigung, Verfolgung und schließlich ihre Vertreibung bedeutet. Auf unterschiedlichen Wegen fliehen sie nach New York, wo sie bis heute leben. Der Film läßt sich beim Zuhören ihrer Lebensgeschichten Zeit. Und je länger ihre Erzählungen dauern, desto genauer wird die traumatische Verletzung spürbar, die für diese Überlebenden des nationalsozialistischen Terrors mit der Vertreibung verbunden ist.
Dem einen wird die Muttersprache geraubt, der anderen die Landschaft, und alle haben den schmerzlichen Verlust von familiären, sozialen und kulturellen Zusammenhängen zu beklagen. Ob sie von ihrem Schuldgefühl als Überlebende oder von ihren mühsamen Jahren einer Existenzgründung in der Fremde erzählen: das Nachdenken über ihre zerrissene Identität macht den erlittenen Schmerz und die Trauer umso nachhaltiger. Wenn sie am Ende des Films von ihren ersten Wien-Besuchen nach langen Jahren berichten, verdichten sich Spannung und Zwiespalt, mit denen sie dieser Stadt begegnen. Im Gedenken an ihre ermordeten Angehörigen und Bekannten wird der Ort ihrer Jugend zu einem lebendigen Totenhaus. Thematisch und ästhetisch hat dieser Film sein Zentrum in der reflektierten subjektiven Erfahrung der Interviewten. Ihre dichte Erinnerungsarbeit strukturiert der Film mit Hilfe einer sinnfälligen Montage, die zahlreiche Archivmaterialien wie Familienfotos, Wochenschauausschnitte, Tonträgerdokumente etc. miteinbezieht. Auf diese Weise wird Emigration N.Y. zu einem Zeitzeugnis, das auf die tiefen Verletzungen und Beschädigungen jeder Vertreibung aufmerksam zu machen vermag.
Potsdamer Str. 2, Berlin Tel.:+49 030 26955-100, Fax: +49 030 26955-111 , mail@arsenal-berlin.de, http://films.arsenal-berlin.de/index.php