Film des Monats: Dezember 2003
Rémy, Geschichtsprofessor in Montreal, verkörpert geradezu idealtypisch die Generation von 1968: Er ist politisch links orientiert, aber kein Dogmatiker, und natürlich ein Frauenheld - Sex bedeutet ihm die Befreiung aus bürgerlichen Zwängen. Seine Familie hat er darüber vernachlässigt, von seiner Frau lebt er schon lange getrennt, sein Sohn Sébastien arbeitet als Börsenmakler in London, der Freundeskreis und einstige Debattierzirkel hat sich in alle Winde zerstreut. Als Rémy im Alter von gut 50 Jahren schwer erkrankt, scheint sein Weg vorgezeichnet: er wird in einem überfüllten Krankenhaus einsam sterben.
Da greift die Familie ein, der Sohn Sébastien kommt aus London und organisiert unter Einsatz von viel Geld ein komfortables Ambiente für seinen Vater, er holt die Verwandten, die Freunde und die ehemaligen Geliebten zusammen, und lässt seinem Vater auf Rat eines Arztes Heroin statt Morphium spritzen. An einer Überdosis wird Rémy schließlich auch sterben, provokanter Schlusspunkt eines Films, den die Regie von Denys Arcand wunderbar in Balance hält zwischen Komik, Trauer und Verzweiflung.
Der Film zeichnet die Utopie eines gelingenden Abschieds. Die Generationen nähern sich einander wieder an, Werte wie Liebe und Verantwortung, einst als bürgerlich-konservativ verlacht, gewinnen erneut an Bedeutung. Zugleich wird die Vätergeneration mit ihren einst so radikalen politischen Ideen ironisch desillusioniert. Damit schließt der Film deutlich an den "Untergang des amerikanischen Imperiums" von 1986 an, der vom selben Regie- und Schauspielteam gestaltet war. Auch diesmal weitet sich eine Familiengeschichte zum gesellschaftlichen Panorama. Der Einbruch der Barbarei, den der Titel anspricht, wird nicht allein in politischen Ereignissen wie dem 11. September gesehen, er offenbart sich auch in den zerstörten Beziehungen zwischen Freunden und Verwandten, und er ist unaufhebbar mit der Existenz des Menschen verbunden, mit Krankheit und Tod als der barbarischsten Invasion ins Leben.
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