Film des Monats: Juni 2003
Olivier leitet eine Schreinerwerkstatt für schwierige Jugendliche. Er erscheint persönlich unnahbar, setzt sich jedoch für seine Zöglinge ein. Auch Francis nimmt er in seine Werkstatt auf, obwohl der Junge elfjährig Oliviers kleinen Sohn ermordet und fünf Jahre in einer Jugendstrafanstalt gesessen hat. Olivier kann nicht erklären, was ihn dazu bewegt, seine ehemalige Frau, die Mutter des getöteten Kindes, versteht nicht, warum er sich die Nähe des Täters zumutet. Francis wiederum lernt aufmerksam und bemüht sich um Oliviers Vertrauen. Allerdings weiß er nicht, dass Olivier der Vater seines Opfers ist. Auf der Fahrt zu einem Holzlager versucht Olivier zu verstehen, was den Jungen angetrieben hat. Während er Details über den Mord, Motiven und Empfindungen nachspürt, bittet ihn Francis, sein Vormund zu werden. Olivier kann die Wahrheit nicht länger verschweigen. Voller Angst rennt Francis davon; Olivier kann ihn überwältigen. Schwer atmend liegt er auf dem Jungen, selbst Rache scheint möglich, doch Hass wie Vergebung bleiben unausgesprochen. Später werden beide den Autoanhänger mit Brettern beladen, dann bricht der Film ab.
Die Autoren haben eine meisterhafte Studie über das höchst komplizierte Verhältnis zwischen Opfer und Täter geschaffen. Die Kamera sitzt Olivier im Nacken, sie schaut ihm über die Schulter und folgt ihm atemlos. In der Schreinerwerkstatt ist es am Anfang unerträglich laut, das Finale im Holzlager beherrscht gespannte Stille. Beschädigung und Trauma werden nicht verbalisiert, sondern über die Intensität der Darstellung vermittelt. So wird die Last spürbar, die Olivier zu erdrücken scheint, aber auch das zunehmende Vertrauen von Francis. Die hochbewegliche Handkamera hält das Publikum auf Distanz und schafft gleichzeitig Raum für die Annäherung zwischen den beiden. Wo Rache und die nächste Katastrophe zu erwarten wären, werden Gefühle lebendig, die nach dem schrecklichen Verlust und der sinnlosen Tat verschüttet wurden.
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