Film des Monats: Oktober 2011
Ein Sommertag im Jahr 2008. In einer renommierten New Yorker Investmentbank hat es gerade eine Entlassungswelle gegeben; das ist „business as usual“. Nicht so selbstverständlich ist, dass einer der Gefeuerten, ein leitender Angestellter im Risikomanagement, einem Untergebenen einen Stick mit inoffiziellen Daten zuspielt. Der junge Mann stellt fest, dass die Bank auf einer Unmenge überbewerteter Papiere sitzt – es droht der „Margin Call“, der Moment, in dem echtes Geld hergezeigt werden müsste und sich herausstellen würde, dass die Bank unterkapitalisiert ist. Manager werden informiert und Krisensitzungen einberufen. Schließlich fliegt der Chef ein. Der versteht die „komplexen Finanzprodukte“, die sein Haus handelt, auch nicht besser als der Kreditnehmer von der Straße. Aber er hat eine Strategie: Die toxischen Papiere müssen verkauft werden, möglichst schnell. Alle Beteiligten wissen, dass das nicht nur die Firma, sondern den ganzen Markt in die Krise stürzen wird.
„Margin Call“, das erstaunlich selbstbewusste Kinodebüt von J.C. Chandor, spielt nahezu ausschließlich in klimatisierten Büros, unter Männern in gedeckten Anzügen. Mit kühler Präzision wird hier von der Immobilien- und Bankenkrise erzählt, die vor drei Jahren im Kollaps der Lehman Brothers kulminierte, Tausende von Existenzen vernichtete und die westlichen Volkswirtschaften noch heute belastet. Chandors Inszenierung macht das Finanzmilieu für den Laien durchschaubar, ohne seine Strukturen zu simplifizieren. Die Menschen in diesem Film, vom ambitionierten Jungtrader über die Abteilungsleiter bis hin zum Firmenboss, haben nichts Dämonisches - einige sind selbst verschuldet, fürchten um Abfindungen und Sozialversicherung, leiden auf hohem Niveau. Aber keiner von ihnen bricht mit einem System der Bereicherung und Berechnung, in dem die „normalen Leute“ keine Rolle spielen. So zeigt „Margin Call“, ohne das Spannungsfeld des amerikanischen Genrekinos zu verlassen, dass Moral und Vernunft nur von außen in die Ökonomie kommen können: Der Markt wird es nicht richten.
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