Film des Monats: März 2002
Als ein Statist für eine Filmszene gesucht wird, lässt Xiao- kang sich von einer ehemaligen Schulfreundin überreden, eine im Fluss treibende Leiche zu mimen. Xiao Kangs Eintauchen in das verschmutzte Gewässer, das der Industriemetropole Taipeh als Kloake dient, hat Folgen: ein lähmender Schmerz im Nacken befällt ihn, der auf keine Therapie - weder moderne Medizin noch traditionelle Akupunktur - anspricht. Zusehends verschlimmert sich Xiao-kangs Zustand. Als er in ein Krankenhaus eingeliefert wird, erkennt ihn seine Mutter zunächst nicht wieder. Überhaupt leben Mutter, Vater und Sohn scheinbar beziehungslos nebeneinander her. Als Aufzugführerin eines Restaurants fährt die Mutter unentwegt im leeren Fahrstuhl auf und ab. Ihre Aufmerksamkeit gilt ansonsten dem Essen, das sie für Mann und Sohn, aber auch für ihren Liebhaber aus dem Restaurant mitbringt. Der Vater seinerseits bewegt sich lethargisch durch die urbane Anonymität, stets auf der Suche nach kurzlebigen homoerotischen Abenteuern. Schließlich reisen Vater und Sohn zu dem berühmten Wunderheiler eines Tempels im Süden des Landes. Im Dunkel einer Sauna kommt es zur sexuellen Begegnung zwischen beiden. Lange hält der Vater Xiao-kang im Arm, bevor er im aufleuchtenden Licht den eigenen Sohn erkennt. Die Szene, ein unerhörter Tabubruch, berührt zutiefst, da sich den Körpern das unstillbare Verlangen nach Nähe und Zuwendung ablesen lässt.
Mit seinen spröden, ernüchternden Beobachtungen einer um sich greifenden Verwahrlosung schildert Tsai Ming-liang die Kehrseite der rasanten Modernisierung, der die urbanen Zentren Asiens ihre Prosperität verdanken. Als unmittelbarer Ausdruck dieser Malaise verweist der unerklärliche physische Schmerz, der Xiao-kang befällt, auf den seelischen Zustand des Protagonisten inmitten einer Umwelt, die vom ökologischen Desaster ebenso gekennzeichnet ist wie von desolaten sozialen Bindungen und der Unfähigkeit der Individuen, miteinander zu kommunizieren.
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