Film des Monats: Oktober 2025

Das Verschwinden des Josef Mengele
Regie: Kirill Serebrennikow
Drehbuch: Kirill Serebrennikow
Deutschland 2025

„Das Verschwinden des Josef Mengele“ ist eine filmische Zumutung – darin liegt seine verstörende Stärke.

Über zwei Stunden zwingt uns der Film, dem Mann nahe zu kommen, der als „Todesengel von Auschwitz“ zu einer Chiffre des Grauens geworden ist. August Diehl gelingt es mit überragender Intensität, Josef Mengele nicht nur in unterschiedlichen Lebens- und Altersphasen darzustellen, sondern auch in seinem schleichenden Abdriften: von der Selbstgewissheit des großbürgerlich eingebetteten Nazis über das abgründige Selbstmitleid und die wachsende Paranoia bis hin zur Verbohrtheit und Verbitterung eines gehetzten alten Mannes.

Seiner Gewissenlosigkeit, Selbstgefälligkeit und grotesken Rechtfertigungsversuche so nahe zu kommen, ist schwer auszuhalten. Die sicher eingeübte Distanzierung, mit der man auf die Täter blickt, wird hier verweigert. Stattdessen bringt der Film sein Publikum in eine ungeschützte Nähe – eine Erfahrung, die die Jury kontrovers diskutiert hat. 

Handwerklich überzeugt die Inszenierung durch die dichte Kameraarbeit, die präzise Bildgestaltung und die dramaturgische Stringenz, die eine beklemmende Spannung erzeugt. Inhaltlich verfolgt der Film Mengeles Fluchtstationen in Südamerika – wechselnde Länder und Identitäten, eine Welt zwischen provisorischem Unterschlupf und trügerischer Sicherheit. Ein Besuch in Deutschland lässt noch einmal die alte Gewissheit aufscheinen, unantastbar zu sein. Die Vereinsamung im brasilianischen Exil nach einer zweiten, gescheiterten Ehe markieren die Abwärtsspirale. Parallel der Besuch des erwachsenen Sohnes, der vom Vater eine Antwort verlangt – „Papa, was hast du in Auschwitz getan?“ Die ausweichenden, dann offen ideologischen Entgegnungen entlarven Mengele als unbelehrbaren Nazischergen.

Heikel ist eine Passage, in der Farbaufnahmen von der Rampe in Auschwitz gezeigt werden, von den Selektionen, von Menschen in medizinischen Torturen, nackte Haut, Blut, Tod – und mittendrin der lachende, bestens gelaunte Mengele, anscheinend in seinem Element. Das Grauen hat es tatsächlich gegeben, die Bilder davon nicht, sie sind inszeniert. Diese Regieentscheidung und die Nähe zu einem NS-Täter machen den Film zu einem herausfordernden Werk, das Widerspruch provoziert und Diskussion verlangt. Kirill Serebrennikovs Film gibt keine bequemen Antworten, er rührt auf, verstört und stellt unbequeme Fragen nach Geschichte, Verstrickung und Verantwortung. Deshalb hat die Jury sich entschieden, Das Verschwinden des Josef Mengele zum Film des Monats zu wählen. 

Film-Credits
Deutschland 2025
Regie:
Kirill Serebrennikow
Drehbuch:
Kirill Serebrennikow
Kamera:
Vladislav Opelyants
Musik:
Ilja Demutsky
Darsteller:
August Diehl, Max Bretschneider, Dana Herfurth, Friederike Becht, Burghart Klaußner u.a.
Format:
DCP, deutsche Fassung, schwarz/weiß / Farbe, 135 Minuten
Verleih:
DCM
Schönhauser Allee 8, 10119 Berlin, Tel.:+49 030 88 59 74 0, Fax: +49 030 88 59 74 15, what@dcmteam.com, www.dcmworld.com
Kinostart:
23.10.2025