Film des Monats: Januar 2000
Beim Leben ihrer Mutter, die sie nicht kannte, und dem ihres Vaters, den sie nicht hatte, schwört die sinnenfrohe Tänzerin Mariana vor Gott sexuelle Enthaltsamkeit, wenn ihr die Titelrolle der "Giselle" zuteil wird. In ähnlich zwiespältigen Situationen leben auch die beiden anderen Hauptpersonen dieses kubanischen Films. Die Altenpflegerin Julia plagt sich damit, dass sie vor Jahren ihr Kind weggegeben hat, und zeigt Symptome einer merkwürdigen Gähnkrankheit, die im Übrigen auch alle die befällt, die den langatmigen Reden des Parteifunktionärs lauschen müssen. Und der Musiker und Tagedieb Elpidio lebt zerrissen zwischen seiner Liebe zur großen Mutter Kuba und zu der Amerikanerin Crissy. Eines Tages, nachmittags um 4.44 Uhr, soll für alle die große Wende in ihrem Leben kommen...
Mittels der Erzählerin Bébé verschränkt Regisseur Fernando Pérez die Lebenslinien seiner Figuren, die alle in einem Waisenhaus groß geworden sind, zu einer komplexen Erzählung. Dazwischen montiert finden sich satirische Elemente, etwa wenn Menschen auf der Straße zusammenbrechen, sobald sie politisch anstößige Wörter wie "Freiheit", "Wahrheit" oder "Doppelmoral" hören. Auch wenn die allegorische Konstruktion des Films zuweilen allzu durchschaubar erscheint, gerinnen die Figuren nicht zu Schablonen, sondern bewahren ihre Vitalität. Der fließende Wechsel zwischen Wirklichkeit und Traum erinnert an die Tradition des magischen Realismus in der lateinamerikanischen Literatur.
Der Film reflektiert das ambivalente Verhältnis der Kubaner zu ihrer Heimat. Weggehen oder bleiben, sich anpassen oder auf die Verhältnisse pfeifen? Humorvoll, poetisch und subversiv variiert der Film die Frage nach dem Weg zum individuellen Glück.
Ebertplatz 21, Köln Tel.:+49 0221 97266-16, Fax: +49 0221 97266-17, pegasos@pegasosfilm.de, www.pegasosfilm.de