Film des Monats: Januar 1997
Enge und Ödnis von Neubausiedlungen mit ihren sozialen Problemen und individuellen Krisen zählen zu den Chiffren, aber auch zu den Klischees moderner Vorstadterfahrung. In den Kulissen einer solchen Satellitenstadt im Südosten Londons ist Beautiful Thing inszeniert, ein Film, in dem die Geschichte dreier Nachbarn mit ihren heranwachsenden Kindern erzählt wird. Im Mittelpunkt steht die 35jährige vitale und resolute Sandra und ihr Sohn Jamie, der in der Schule ein Außenseiter ist. Leah, seine etwa gleichaltrige schwarze Nachbarin, lebt ebenfalls allein mit ihrer Mutter und hört am liebsten die Songs von Mama Cass von den "Mamas & Papas". Eine Tür neben Sandra und Jamie wohnt Ste, der ständig versucht, dem prügelnden Vater zu entgehen... - beste Voraussetzungen also für ein sozialkritisches Drama, in dem das Vorstadtelend zur Anklage gegenüber der Misere in Politik und Gesellschaft wird.
Genau diese Erwartung enttäuscht der Film jedoch. Denn wie in einem "urbanen Märchen" ereignet sich Wunderbares inmitten dieser miserablen Bedingungen. Jamie und Ste entdecken ihre Zuneigung füreinander und stehen trotz aller Anfeindungen zu ihrer Homosexualität. Und nach einer tränenreichen Auseinandersetzung versteht Sandra ihren Sohn, trennt sich von ihrem jüngeren Liebhaber und findet in Leah eine neue Freundin. Hoffnungsvolle Lichtblicke fallen in die Tristesse der Betonwelt. Die Atmosphäre einengender Häuserfluchten, schmaler Hausflure und enger Wohnungen, die durch lange Kameraeinstellungen und wiederkehrende Perspektiven hervorgerufen wird, erstarrt nicht zu einem Gefühl des wechselseitigen Ausgeliefertseins. Kaum jemand kommt ohne Kontakt an den anderen vorbei, dies kann zu zerstörerischen Spannungen, aber auch zu wunderschönen Begegnungen führen. Mit Anleihen bei der Choreographie des Theaters macht Hettie Macdonalds Inszenierung die Vorstadt zur Bühne eines utopischen Entwurfs. Manche Geschichten sind einfach so schön, daß sie wahr werden müssen.
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