Film des Monats: Dezember 2011

Atmen
Regie: Karl Markovics
Drehbuch: Karl Markovics
Österreich 2011

Roman war nie richtig „draußen“. Er ist als Kleinkind ins Heim gekommen, seine Mutter kennt er nicht. Mit vierzehn hat er bei einer Auseinandersetzung einen anderen Teenager getötet – Jugendstrafvollzug. Mit neunzehn soll Roman Bewährung bekommen, doch es scheint, als wolle und könne er nicht mehr raus aus dem kleinen, dem einzigen Leben, das er kennt: ein Bett, ein Fernseher, ab und zu eine Schwimmstunde mit anderen Anstaltsinsassen, Treffen mit seinem Bewährungshelfer. Aber Roman braucht einen Job, und eines Tages findet er heraus, was das sein soll: Er fängt bei der Wiener Bestattung an – Leichentransporte. Es ist schwere, traurige Arbeit; mit den Kollegen, die schon lange dabei sind, hat der schweigsame, verschlossene Junge nichts gemeinsam. Trotzdem wird die Stelle zum Ausgangspunkt einer Selbstfindung: Ganz langsam, ganz allmählich lernt Roman, sich seiner unglücklichen Biografie, dem Trauma seiner Kindheit zu stellen.

Zu behaupten, dass der Schauspieler Karl Markovics in seinem ersten selbstinszenierten Spielfilm von einer gelungenen Resozialisierung erzählt, ist nicht falsch. Aber es sagt nichts über die Empfindsamkeit, mit der die Tristesse und der Zwang eines Lebens erfasst werden, dass keinem Kind, keinem Jugendlichen zugemutet werden dürfte. Wortkarg, aber in sprechenden visuellen Details, mit einer bemerkenswert gelungenen Mischung aus sozialem Realismus und Stilisierung entfaltet der Film seine Milieus und Settings: die inhumane Architektur der Anstalt, die Erbärmlichkeit der Zellen – es reicht nicht mal für einen Topf, in den Roman seinen Tauchsieder hängen könnte -, die Rituale der Überwachung und Kontrolle, den kühlen Code der Bestatter, die Nicht-Orte Wiens, vom Bahnhofsvorplatz bis zum Ikea-Möbelhaus. Eine erstickende Atmosphäre ist das – immer wieder gerät Roman in Situationen, die ihm die Luft nehmen. Dass der Film seinem Helden am Ende zutraut sich freizuschwimmen, hat etwas Erlösendes. „Atmen“ ist der Bildungsroman eines Jugendlichen, der eigentlich keine Chance hat.

Als Download (PDF):
Trailer:
Film-Credits
Österreich 2011
Produzent:
Dieter Pochlatko, Nikolaus Wisiak, EPO Filmproduktion
Regie:
Karl Markovics
Drehbuch:
Karl Markovics
Kamera:
Martin Gschlacht
Schnitt:
Alarich Lenz
Musik:
Herbert Tucmandl
Darsteller:
Thomas Schubert (Roman Kogler), Karin Lischka (Margit Kogler), Gerhard Liebmann (Walter Fakler), Georg Friedrich (Rudolf Kienast) u.a.
Format:
35mm, Farbe 93 Min.
Verleih:
Thimfilm GmbH
Leitermayergasse 43, A-1070 Wien, Österreich, Tel.:+43 1 236 2190, Fax: +43 1 2361909, thim@thimfilm.at, www.thimfilm.at
Preise:
Bester Film, Sarajewo 2011; FIPRESCI-Preis, Kiew 2011; Emeric-Pressburger-Preis und Preis der Ökumenischen Jury, Miskolc 2011
Kinostart:
8. Dezember 2011