Film des Monats: Dezember 2017
Frankreich in den frühen 90ern. Seit zehn Jahren wütet die Aids-Epidemie, aber die Regierung Mitterand spielt das Problem herunter. In der Pariser Gruppe der 1987 in New York gegründeten Organisation Act Up kämpfen Schwule, Lesben und Vertreter anderer Risikogruppen für Aufklärung und medizinische Betreuung. Mit drastischen, öffentlichkeitswirksamen Aktionen soll Druck auf Politik und Wirtschaft ausgeübt werden, aktuell die Firma Melton Pharm, die Forschungsergebnisse zurückhält. Neulinge wie Nathan lernen, wie man Kunstblut anrührt und sich im Fall einer Verhaftung verhält. Bei den hitzigen wöchentlichen Treffen kommt Nathan dem flamboyanten Sean nahe. Der gehört zu den Act-Up-Mitgliedern, die bereits infiziert sind. Als Sean beginnt, Symptome zu zeigen, zieht Nathan sich nicht zurück: Es entwickelt sich eine Beziehung, die schwersten Belastungen trotzt.
Der Regisseur und Autor Robin Campillo war selbst bei Act Up aktiv, und die gelebte Erfahrung merkt man seinem in Cannes gefeierten Film an. Ebenso mitreißend wie genau im Detail schildert „120 BPM“ (die Zahl der menschlichen Herzschläge pro Minute) eine sozial und hinsichtlich der sexuellen Orientierung gemischte Szene, die kreativ und informiert um eine gemeinsame politische Praxis ringt. Das vordergründig »historische« Thema – zumindest im Westen hat sich die medizinische Situation der Aidskranken erheblich verbessert – wird in der beweglichen Inszenierung sehr aktuell: Dahinter steht die prinzipielle Frage, welche Mittel nötig und sinnvoll sind, um in einer gleichgültigen Gesellschaft die Interessen marginalisierter Gruppen durchzusetzen. Darüber hinaus erzählt „120 BPM“ eine schwule Liebesgeschichte, die – anders als in den eher defensiven Anti-Aids-Filmen der ersten Welle - eine hinreißende Selbstverständlichkeit hat: sinnlich, sexy und vital fast bis zum Ende. Den Anspruch, den Körper, das Gefühl und die Politik zusammenzudenken, erfüllt Campillo auf beeindruckende Weise. Für Betroffene ist sein Film Ermutigung und Bestätigung, für alle anderen – Aufklärung im besten Sinn.
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